Höllenangst
No enlightenment please!
Frei nach „Höllenangst“ von Johann Nestroy
- Vorstellungsdauer
- ca. 85 Minuten, keine Pause
Uraufführung
Premiere: Sa. 04. Feb. 2023, 20.00
Über Höllenangst
Der uns alle heimsuchenden, diffusen Angst, die mit der Moderne einhergeht, lässt sich propagandistisch leicht ein konkretes Gesicht verleihen. Ein Teufelsbild ist schnell gefunden. Die Auswirkungen des Leibhaftigen, des Bösen in der immanenten Welt erscheinen uns heutzutage meistens medial vermittelt in schockierenden und angsterzeugenden Bildern und Szenarien.
Nach gescheiterten demokratischen Selbstermächtigungen wie 1848, dem Entstehungsjahr von Nestroys Ausgangsstück, kommt innerhalb der Bevölkerung zu diesen menschlichen Urängsten oft ein von Resignation getriebener Aberglaube hinzu. Verschwörungserzählungen greifen um sich, aufklärerische Werte geraten in eine Schieflage. Von dieser Situation sind wir immer noch bedroht. Die tieferen Zusammenhänge und Produktionsverhältnisse bleiben uns genauso verborgen wie den damaligen Zeitgenossen. Menschgemachte politische und gesellschaftliche Ordnungen drohen sich permanent aufzulösen und in Chaos oder Krieg zu münden. Die modernen Höllenängste spielen sich ab um Abstieg, Krieg und Krankheit.
Johann Nestroy verpackte in seiner Posse HÖLLENANGST in verschlüsselter Form weltanschauliche und politische Themen im Zusammenhang mit der gescheiterten Revolution von 1848. Bernd Liepold-Mosser, der im TAG bereits fulminant mit seiner Überschreibung von DIE RATTEN von Gerhard Hauptmann reüssierte, verortet in seiner Bearbeitung die Figuren aus dem 19. Jahrhundert in unserer Gegenwart neu. Die sozialen Abstiegsängste betreffen nun auch den sogenannten Mittelstand und diffuse Gefühlslagen erfahren durch soziale Medien ihre digitale Verbreitung. Liepold-Mosser behält den Humor und die Schärfe von Nestroys Text bei, gießt die Geschichte aber in eine neue Kunstsprache und in zeitgenössische Zusammenhänge. Untermalt vom Live-Musiker Oliver Welter (Naked Lunch) entwickelt er so eine lebendige und bissige Volkskomödie von heute.
Team
- Es spielen
- Text
- Regie
- Ausstattung
- Musik
- Dramaturgie
- Licht
- Regieassistenz
- Ausstattungshospitanz
- Kostüm- und Requisitenbetreuung
- Tontechnik
- Bühnentechnik
- Katja Thürriegl
- Felicitas Löschnauer
- Peter Hirsch
- Hans Egger, Manuel Sandheim, Andreas Wiesbauer
Foto-Galerie
Kritiken
Über die Produktion
Wir alle (mit ganz wenigen Ausnahmen) sind auf die eine oder andere Art und Weise in der zweiten Welt des Digitalen untergegangen. Gefallen wie in einen Honigtopf. Eine Welt, die uns zunächst fremd anmutet, im gleichen Maße jedoch arglistig versucht, anzieht, an sich bindet, sich uns letztendlich einverleibt, bis dass wir uns darin wiederfinden, vollends isoliert, an den Schirmen verzweifelt gelangweilt wischend. Der ersten Welt, der irdischen, vollends verloren gegangen, von der himmlischen ganz zu schweigen.
Verwirrt sind wir und abhängig gemacht. Ein Höllenbraten. Knusprige Beute. In den Klauen der digitalen Giganten, die uns mit ihren Installationen, Gestellen, harten und weichen Waren, Vermittlungsstellen, mit ihren Erzählungen immer genauer nach Informationen abgreifen. Gebündelte Datensätze aus uns extrahieren, welche weiterverwertet in einem digitalen Endzeit-Kapitalismus kryptisch zur eigentlichen Währung werden. Pakete, die zur Grundlage dienen, uns einzuordnen, zu rubrizieren, uns zu bewerben und letztlich über uns zu richten. Man will unsere Seele. Nur nennt man das heute nicht mehr so. Zwinker-Smiley.
Wer will unsere Seele? Die Hölle? Der Teufel? Nennt man das heute noch so? Sollte man sich davor fürchten? – Das sollte man. Sollte man sich davor schützen? – Sicher, aber wie? Mit Grundimmunisierung? Mit Aberglaube? Mit den Antiviren-Programmen und Feuermauern der Vernunft? Ist man denn überhaupt immunisiert mit Aufklärung?
Oh no! Please no enlightenment!
Die Aufklärung hat, mal abgesehen von ihrer analogen Dialektik, in diesem Setting ausgedient. Der aufgeklärte Mensch des „irdischen Paradieses“, des Zeitalters der Vernunft, ist der größte Mythos, seit man Blasen, Echoräume und Kaninchenbauten digital konstruiert und ermöglicht hat. Jeder hat sich doch in der Verschwörungs-Hölle der lancierten Narrative sein eigenes Dunkelkämmerchen eingerichtet. Die Kugelsphäre ist nicht mehr Sinnbild für das Ganze, sondern die Abschluss-Metapher für die eigene narzisstische Welt, worin ein jeder lebt. Im Ganzen: Ein höllisches und überdimensioniertes Poolbillard, das von den globalen Playern mit ihren maschinellen und propagandistischen Verlängerungen virtuos betrieben wird.
Wer hat bis jetzt noch keine Höllenangst?
Der Eingang bin ich zum verlornen Volke!
Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren.
Dante Alighieri
Bernd Liepold-Mosser ist ein furchtloser Durchwanderer und Beschauer der Hölle. Er ist an der Hand Nestroys, eines großen Dichter-Führers, durch diese Höllenkreise geschritten und hat aus ihren heißen Sphären, sich mit ihm unterhaltend und auseinandersetzend, einen Text heraufgebracht, dessen Figuren und Handlungen noch an jene von Nestroys „Höllenangst“ erinnern, dessen Inhalte, Intentionen jedoch ganz und gar ins Heute und leider auch in eine dystopische Zukunft weisen: das Großkapital und seine Verachtung und Verdinglichung der bürgerlichen Mittelschichten, die Trockenlegung ihrer demokratischen und souveränen Reservoirs, ebenso die Re-Feudalisierung der Gesellschaft mittels Schocktherapie, angeheizter Endzeit-Panik, Ablenkung und Verdummung, aber auch mittels profaner Steuerflucht. Dies ist sein Thema.
Sein Wendelin ist eine naive volkstümliche Faustfigur, die angefacht durch eigene Paranoia der komödiendienlichen Funktion der Verwechslung anheimfällt. Wie bei Nestroy glaubt er fest den höllischen Verheißungen des von ihm sogenannten „Windows-Manns“, mit dem er einen eingebildeten Pakt schließt. Auch dass er sich seiner prinzipiellen Verlorenheit immer bewusst ist – einerseits durch die Aussichtslosigkeit seiner sozialen Situation, andererseits durch die eingebildeten Folgen des Vertrages mit dem Antiviren-Programm-Verkäufer – macht ihn zur beinahe tagesaktuellen Figur.
Das Leben ist nach Sloterdijk die Erfolgsphase eines Immunsystems. Immunsysteme sind durch Zurichtungen zu stärken, auch und gerade die geistigen. Das Milieu aber ist wesentlich. Welchen Erzählungen man glaubt, ist eine ganz andere Frage. Aberglaube ist in dieser Hölle ohnehin alles. Entscheidend ist nicht, dass man, sondern in welcher Blasenkugel man sitzt und vor welcher Hölle man Angst hat, um zu überleben oder zumindest in Frieden zu sterben. Das Licht der Aufklärung ist auch nur eines unter vielen Lämpchen auf der Lichtung. Und ein Aberglaube ist manchmal ein Lebensretter und Immunstärker.
Wir haben hier auch keine Antworten. Die Fragen bleiben wieder einmal alle offen. Die Hölle ist überall, möchte man meinen. Ja, auch wir haben uns dem Teufel vertraglich verpflichtet. Durch welches Höllentor wir schreiten, gebietet aber einzig unsre ganz persönliche Angst.
Gernot Plass
Künstlerischer Leiter des TAG